Im Krankenhaus

Muslime im Krankenhaus

Muslime im Krankenhaus

Eine Handreichung



Möge diese Schrift dazu beitragen, daß im internationalen Alltag des
Krankenhauses Probleme bewußt gemacht, gegenseitige Ängste abgebaut und durch mehr Wissen ein besseres Verständnis
und eine gute Zusammenarbeit ermöglicht werden!



Viele Patienten sind nicht in der Lage, diesen Wunsch von sich aus zu äußern, so daß es hier zu Mißverständnissen auf beiden Seiten kommt.

Einige konkrete Punkte sind: Um bei ganz praktischen Sachen zu bleiben, ist es für einen Muslim wichtig, daß er bei der Wahl seiner Mahlzeiten wirklich kein Schweinefleisch bekommt.

Vielen Pflegern ist dies geläufig, doch nicht immer sorgt man von vornherein für Abhilfe.

Geben Sie dem Patienten die Möglichkeit, Verwandte mit in seine Pflege einzubeziehen, da die soziale Komponente für einen kranken Muslim eine wichtige Rolle spielt.

Respektieren Sie bei einer Muslima den Scham, sich vor Männern ohne Kopftuch (bzw. ganz ohne Kleidung) nicht zeigen zu wollen, sofern keine medizinische Indikation vorliegt!

Machen Sie dem Patienten verständlich, daß er durch die psychische Zufriedenheit, die er durch das Muslimsein erlangen kann, seine Genesung beschleunigen kann.

Versuchen Sie, den einzelnen Patienten im Gespräch dazu zu bringen, zu erzählen, was für ihn zu seiner Zufriedenheit beiträgt, ohne daß er sich als Muslim geoutet fühlt.

Machen Sie ihren Kollegen klar, daß ein Muslim nichts mit den Vorstellungen der Horrornachrichten über diverse sog. "islamische Gruppierungen" zu tun hat.

Quelle:
Prof. Dr. med. Talat Mesud Yelbuz, Dr. Wolfgang Kusch /
Münster (Auflage im Jahr 2000)

EINLEITUNG


Auch in früheren Zeiten lebten Muslime in Deutschland. Aber erst die Entwicklung des industriellen Großraums der Europäischen Gemeinschaft und die massenhafte Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Mittelmeerraum in den fünfziger und sechziger Jahren unseres Jahrhunderts führten zur Bildung erheblicher islamischer Bevölkerungsgruppen in Deutschland wie in ganz Westeuropa arbeitende und älter werdende Muslime zunehmend auch in Pflegeeinrichtungen antreffen und versorgen.
Nicht nur Ärzte und Pfleger haben Schwierigkeiten mit der ihnen fremden Kultur und Religion; erst recht Muslime haben Probleme verschiedener Art in einer ihnen nicht vertrauten "Krankenhauswelt", "Pflegeeinrichtung" oder "ärztlichen Praxis".
Auch wenn einige der Problemfelder in bezug auf muslimische Patienten mehr durch ihre Rolle als Ausländer und Fremde gekennzeichnet sind, prägen doch Tradition, Kultur und Religion sehr stark das tägliche Verhalten und Denken der Muslime.
Die Kenntnis dieser kulturreligiösen und traditionellen Hintergründe wird auch im ärztlichen und pflegerischen Alltag den Umgang mit Muslimen erleichtern, menschliche und religiöse Bedürfnisse transparenter machen, das Bewußtsein schärfen und für Verständnis sorgen.
Daher soll im folgenden kurz einiges an Hintergrundwissen über den Islam gegeben sowie die Bedeutung von Krankheit, Leid, Sterben und Tod für einen Muslim dargestellt werden. Ein kurzer medizinhistorischer Einblick über die Bedeutung der Medizin im Islam soll die Betrachtung abrunden. Auf dem dargestellten Hintergrund werden dann die konkreten Problembereiche im einzelnen erörtert. Neben sprachlichen Defiziten und daraus resultierenden Problemen kommen die Schwierigkeiten der kulturellen Verständigung zur Sprache. Die Bedeutung des Schamgefühls für die Patienten wird angesprochen, wichtig insbesondere für muslimische Frauen. In weiteren Themenkreisen werden muslimische Riten, die häufig hohe Anzahl von Besuchern, die Diätvorschriften und auch das Sterben im Krankenhaus erörtert.

GESUNDHEIT GEHT VOR!


Nicht nur für den Muslim ist Gesundheit das kostbarste Gut, doch für ihn ist es eine bedeutende religiöse Pflicht, sie auch unbedingt zu bewahren. In der "Religion des Mittelweges", wie der Islam sich definiert und versteht, ist jede Form von Übertreibung unerwünscht. Alle Gebote und Verbote verfolgen das Ziel, dem Muslim ein physisch und psychisch "ausgeglichenes" Leben zu ermöglichen.

Schwierige Zeiten wie Erkrankung, Trennung oder andere besondere Lebensumstände sind zwar Prüfungen vor Gott, doch soll auch bei der Meisterung dieser Phasen der Muslim mit Maß und Verstand vorgehen. Er soll beispielsweise weder bis zum Umfallen stundenlang beten noch das vorgeschriebene fünfmalige Gebet versäumen. Z. B. ist der Verzehr von Schweinefleisch streng untersagt, aber da, wo er nichts anderes außer diesem zu essen vorfindet, ist er sogar verpflichtet, Schweinefleisch zu essen, um zu überleben; dieses allgemein bekannte Verbot verwandelt sich also für ihn in ein Gebot, nämlich Schweinefleisch zu essen, bis er wieder etwas anderes zu essen findet.

So darf er auch z.B. keine Drogen, die einen Rauschzustand herbeiführen können, einnehmen, aber im Falle von sehr starken Schmerzen, die seinen Körper so stark beeinträchtigen, daß er beispielsweise seinen Gebetsverpflichtungen nicht nachkommen kann, darf er auf morphinhaltige Schmerzmittel in Maßen mit Verstand nicht verzichten. Er soll ohne Zweifel gottesfürchtig seinen religiösen Pflichten nachkommen, doch darf er beim Fasten unter besonderen Umständen, z.B. Krankheit, Reise, Schwangerschaft, nicht blind - aus falscher Frömmigkeit - seine Gesundheit aufs Spiel setzen, damit er nicht unfähig wird, überhaupt noch zu fasten, geschweige denn andere religiöse Verpflichtungen zu erfüllen.

Die Gesundheit geht also vor; Gebote und Verbote relativieren sich je nach Lage und besonderen Lebensumständen. Diese grundlegende Tatsache ist leider oft sogar dem gläubigen Muslim nicht bewußt, so daß in Klinik und Praxis - auch von nichtmuslimischen Ärzten und Pflegern - auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht werden kann und soll, wenn sonst die Durchführung von lebenswichtigen medizinischen Behandlungen gefährdet ist. Wenn ein gläubiger muslimischer Arzt nach bestem Wissen und Gewissen bei entsprechenden Erkrankungen wegen der notwendigen Therapie Gebote und Verbote relativiert, dürften und sollten in der Regel die Muslime überhaupt keine Probleme haben.
Allerdings wäre es wünschenswert, wenn da, wo möglich, ein muslimischer Arzt konsultiert und in die durchzuführende Diagnostik und Therapie beratend eingebunden würde.

In diesem Zusammenhang wollen wir auch noch kurz betonen, daß das Retten von Leben im Islam einen sehr hohen Stellenwert besitzt (Vers 32, Sure 5) und deshalb Organtransplantation allgemein als erlaubt betrachtet wird, vorausgesetzt, es liegt das Einverständnis des Spenders vor. Der Verkauf von Organen ist jedoch strikt untersagt. (Auf die aktuelle Diskussion über Hirntodkonzepte und Transplantation soll hier nicht eingegangen werden; muslimische Ärzte haben hierzu - auch in einer Anhörung im Bundestag - ihre Konzepte vorgelegt).

MUSLIME UNTER ÄRZTLICHER UND PFLEGERISCHER BETREUUNG

Der Besuch beim Arzt und der Aufenthalt im Krankenhaus bedeuten für viele Muslime eine große Belastung. Neben Sprachproblemen zeigen sich insbesondere bei Frauen Schamgefühl und Angst bei Untersuchungen. Es ist ein gewisses Mißtrauen vorhanden, daß der Arzt - besonders der nichtmuslimische Arzt - durch seine Studien und Untersuchungen und mit seinen Apparaten dem Wirken Gottes entgegenarbeitet. Die eigentliche Heilung erwartet der Muslim von Gott, Gott ist mächtiger als alle menschlichen Bemühungen.
Vieles im Krankenhaus wirkt bedrückend für den Muslim, besonders die ihm unvernünftig erscheinende Besucherregelung, denn zu Hause sitzen Verwandte Tag und Nacht am Bett eines Schwerkranken, reden ihm gut zu, geben ihm zu essen und vor allem zu trinken. Auch befürchtet er, daß die rituellen Handlungen im Falle seines Sterbens und Todes nicht eingehalten werden. So werden in diesem Abschnitt die zum Teil oben bereits grundlegend angesprochene Themenbereiche und daraus resultierende Problemfelder des ärztlichen und pflegerischen Alltags im einzelnen erörtert.

SCHWIERIGKEITEN DER SPRACHLICHEN VERSTÄNDIGUNG

Muslimische Patienten in deutschen Krankenhäusern stammen meistens nicht aus Deutschland. Deswegen sind Schwierigkeiten, die Ärzte und Pflegekräfte mit muslimischen Patienten haben, manchmal nicht Probleme, die von deren Glauben her verständlich werden, sondern von deren Rolle als Ausländer und Fremde. Hierzu gehört in erster Linie das Sprachproblem. Es ist sozusagen die Quelle aller Schwierigkeiten, und man muß sich klarmachen, daß ohne eine vernünftige Verständigung weder Heilung noch menschenwürdige Pflege möglich sind. Man kann davon ausgehen, daß es eine hohe Dunkelziffer von nicht geklärten Fragen, die mit dem Sprachproblem zusammenhängen, gibt. Daß es hier nicht zu noch größeren Problemen kommt, ist der Tatsache zu verdanken, daß meistens Verwandte oder Freunde gerne aushelfen. Die Verwandtenhilfe hat jedoch dort ihre Grenzen, wo die Krankheit und deren Darstellung in der Anamnese kompliziert werden oder sogar - wie bei bestimmten psychischen Krankheiten - mit den Verwandten selbst zusammenhängen. Im Rahmen juristisch relevanter Aufklärungen über Komplikationen von geplanten Untersuchungen und Operationen verlangt das Gesetz sogar einen vereidigten Dolmetscher.

Es ist auch die Sprache, die über bestimmte religiöse Bedürfnisse, die viele Patienten als existentiell wichtig empfinden, aufklären muß. Daß hier Patienten, weil sie sich nicht genügend artikulieren können, oft zurück stecken, ist einsichtig. Wer also dem Patienten als Fremdem und als Muslim in einem Krankenhaus helfen will, muß zuerst für eine vernünftige Verständigung sorgen. Erst dann sind die Voraussetzungen geschaffen, um den Patienten zu verstehen und so etwas wie ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Daraus leiten sich zahlreiche konkrete Handlungsmöglichkeiten ab: Es ist wichtig, mit dem ausländischen Patienten Blickkontakt zu halten. Mimik und Gestik zeigen seine seelische Verfassung an. Ein aufmunternder Blick kann helfen, Sprachbarrieren zu überwinden. Wenn deutsches Personal einzelne Worte von fremden Sprachen lernt und verwendet, dann dient dies nicht nur der Verständigung, sondern vermittelt dem Patienten das Gefühl des Angenommenseins. Verschiedene Stellen wie Volkshochschulen bieten sog. „1000-Worte-Kurse" an. Im Stationszimmer müssen die Telefonnummern der nächsten erreichbaren Sozialberater und Dolmetscherdienste verfügbar sein. Auch können Bücher und Spiele in verschiedenen Sprachen dem ausländischen Patienten den Aufenthalt im Krankenhaus erleichtern. Farbige Markierungen auf dem Fußboden und Bildsymbole können die Orientierung im Krankenhaus erleichtern.

SCHWIERIGKEITEN DER KULTURELLEN VERSTÄNDIGUNG


Nach der Schwierigkeit der sprachlichen Verständigung taucht die Schwierigkeit der kulturellen Verständigung auf. Hier ist es so, daß die Verhaltensweisen, die man bei Muslimen findet, nicht immer auf den Islam zurückgeführt werden können. Beispielsweise wird die Erfahrung gemacht, daß Muslime Schmerzen über ein gewohntes Maß hinaus beklagen. „Sie jammern und sind wehleidig.", heißt es. Oft handelt es sich aber um eine soziokulturelle Eigenart, denn man ist in den sozialen Beziehungen, in denen Muslime leben, gewohnt, Probleme innerhalb enger sozialer Beziehungen zu lösen. Das heißt:

auch Schmerzen werden zu bewältigen versucht, indem man mit seinen Angehörigen darüber spricht, sie benennt. Manchmal steckt hinter den Klagen über physische Schmerzen tatsächlich ein psychisches Leiden, vielleicht eine Depression.
Die nahen sozialen Kontakte führen also dazu, über Schmerzen reden zu wollen, was vor dem Hintergrund europäischer sozialer Beziehungen den Eindruck erzeugt, manche Ausländer seien wehleidig. Persönliche Probleme werden hier nicht alleine „zu meistern" versucht, sondern der Patient sucht Trost bei seinen Mitmenschen. Deswegen sind die Verwandten und Bekannten ein wichtiger Faktor bei der psychischen Bewältigung der Krankheit. Häufig kann es hilfreich sein, Angehörige in das pflegerische und ärztliche Gespräch und Tun stärker einzubinden, um die Schmerzäußerungen besser einzustufen und adäquater darauf zu reagieren.

Nicht nur im Rahmen der unterschiedlichen Bedeutung und Art von Schmerzäußerungen zeigen sich soziokulturelle und religiöse Irritationen, sondern auch bei einer Fülle anderer Probleme liegen derartige Mißverständnisse zugrunde, wie zahlreiche der im folgenden noch behandelten Themen zeigen. Eine bessere gegenseitige Kenntnis von Eigenheiten kann hier sicher zum Abbau solcher Irritationen beitragen.

DAS BESUCHER PROBLEM

Wie bereits weiter oben erwähnt, erscheint die Besucherregelung dem muslimischen Patienten oft unvernünftig.
Deutsche Mitpatienten nehmen häufig Anstoß an den Gewohnheiten ausländischer muslimischer Besucher, und diese kritisieren bisweilen das Verhalten der Deutschen:
Die oft zahlreichen Besucher der muslimischen Patienten sind dem deutschen Patienten manchmal eine Last, zumal wenn Unterhaltungen in lautem Ton geführt oder stark riechende Speisen mitgebracht und verzehrt werden.

Im Krankenhaus sollte jeder Patient menschliche Nähe verspüren und die Eintönigkeit der Umgebung vergessen können. Für Freunde oder Angehörige eines Muslims ist es eine besondere Ehre und Verpflichtung, den Kranken zu besuchen (siehe auch Abschnitt II. 3.) und ihm gute, nahrhafte Lebensmittel zu bringen - deshalb die häufigen und zahlreichen Besuche seiner Angehörigen und Freunde. Auch zu Hause pflegen Verwandte und Bekannte Tag und Nacht am Bett des Schwerkranken zu sitzen, trinken Tee oder Kaffee, unterhalten sich, reden dem Kranken gut zu, geben ihm zu essen und zu trinken und helfen ihm, von Zeit zu Zeit das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Für Muslime ist es daher nicht verständlich, daß sie beim Besuch ihrer kranken Angehörigen vom Personal weggeschickt werden. Zu Hause bekommen sie darüber hinaus den Vorwurf, den Kranken im Stich gelassen zu haben. Dies gilt besonders bei kranken Kindern.
In manchen Fällen wird dennoch eine Begrenzung der Besucherzahl und der Besuchszeit erforderlich sein, insbesondere dann, wenn schwerkranke Mitpatienten nicht die nötige Ruhe zur Genesung finden.

ESSEN IM KRANKENHAUS/NAHRUNG UND MEDIKAMENTE

Im Krankenhaus erhalten die Patienten ihre Mahlzeiten von einer Zentralküche. Da es im Islam zahlreiche Speisevorschriften gibt, die Muslime in der Regel beachten wollen und müssen, sollte von den Zentralküchen ein entsprechendes Angebot vorgehalten werden. Besonders zu beachten sind das Alkohol- und Schweinefleischverbot.

ALKOHOL

Zwar wird im Krankenhaus grundsätzlich kein Alkohol angeboten, zu beachten ist aber, daß nicht nur Getränke Alkohol enthalten, sondern auch zahlreiche Speisen (Weincremes, „Schwarzwälder Kirschtorte", Soßen, Kefir). Darüber hinaus kommen möglicherweise Medikamente mit Alkohol als Bestandteil zum Einsatz. Falls hier Alternativen bestehen, sollte versucht werden, auf alkoholfreie Wirkstoffe auszuweichen. Andernfalls, d.h. bei fehlenden Ausweichmöglichkeiten, erlaubt der Islam, wie oben gesagt, auch die Einnahme alkoholhaltiger Medikamente, wenn dies zur Gesundung erforderlich ist. Auf diese Ausnahmeregelung sollte in einem solchen Fall hingewiesen werden.

SCHWEINEFLEISCH

Die meisten Muslime halten sich an das Schweinefleischverbot. Dies bezieht sich auch auf Lebensmittel, die nur in Anteilen Schweinefleisch enthalten. Eine Kalbsleberwurst enthält z.B. einen großen Anteil an Schweinefleisch. Entsprechendes gilt für Rindswürste und Pasteten. Manche Muslime achten auch auf die Gelatine, die ja aus Tierknochen hergestellt wird. Neben Gummibärchen und Weingummis enthalten Milchspeisen oft Gelatine. Bedeutend weniger Muslime schauen sich auch die E-Nummern auf den Kennzeichnungen der Lebensmittel an, die u.a. Hinweise auf Zusätze wie Knochenasche oder Haare geben, die häufig von Schweinen stammen.

GESCHÄCHTETES FLEISCH

Viele Muslime beziehen ihr Fleisch aus islamischen Geschäften, in denen sogenanntes Halal-Fleisch verkauft wird. Darunter verstehen Muslime Fleisch von Tieren, die im Namen Gottes getötet wurden. Ähnlich den Juden töten Muslime das Tier durch Durchschneiden der Kehle, wobei es ausbluten muß. Da die islamische Art des Schlachtens (Schächten) das Ausbluten des Tieres vorsieht, gibt es Muslime, die die in Deutschland übliche Form des Schlachtens ablehnen und das in den Geschäften erhältliche Fleisch nicht essen. Es handelt sich hier nicht um Überempfindlichkeit, sondern um den Ausdruck der Furcht von Gläubigen, mit dem Ritus des Schlachtens einen Blutkult zu verbinden. Viele Muslime haben auch einfach eine gewisse Scheu, nicht ausgeblutetes Fleisch zu essen, da die islamische Lehre das Schächten normalerweise vorsieht. Die meisten haben jedoch gemäß der islamischen Regel „Das Fleisch des von Christen geschlachteten Tieres ist euch erlaubt!" keine Probleme damit, Rindfleisch etc. aus den hiesigen Geschäften zu essen.

MUSLIMISCHE RITEN IM KRANKENHAUS: GEBET, FASTEN, FESTE
Zu den „fünf Säulen", die - wie bereits oben erwähnt - das Fundament des Islam bilden, gehören u.a. das fünfmal täglich zu verrichtende rituelle Gebet und das Fasten im Monat Ramadan zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang. Beide Verpflichtungen sind für den Muslim im Krankenhaus schwer einzuhalten.
Dem Gebet steht einerseits die , mangelnde Intimsphäre im normalen Krankenzimmer bzw. das fehlende Angebot eines besonderen Raumes entgegen, andrerseits sicher auch die Scham, die entsteht, wenn Mitpatienten oder Besucher das Gebet des Muslims neugierig beobachten oder gelegentlich unverständig belächeln. Sowohl Kenntnisse über den Islam beim Krankenhauspersonal, das sein Wissen an nichtmuslimische Patienten weitergeben könnte, als auch die Einrichtung entsprechender räumlicher Möglichkeiten, z.B. eines leeren, kleinen Raumes könnten hier Abhilfe schaffen. Besonders letzteres würde das Vertrauen der Patienten auf eine gute Betreuung in diesem Krankenhaus stärken.

Der ärztlichen Verordnung von Medikamenten, ausreichender Flüssigkeitszufuhr und vernünftiger Ernährung stehen die Forderungen des religiösen Fastens während des islamischen Monats Ramadan entgegen, so daß durch mangelnde Mitarbeit am medizinisch Notwendigen (Compliance) der Heilungsprozeß behindert, oftmals unmöglich gemacht werden kann. Zumeist wird sich der muslimische Patient auf das Fastengebot berufen und nicht den Dialog mit seinem Arzt suchen, da dieser aufgrund seiner Herkunft für dieses Thema nicht kompetent ist und den Widerspruch des religiösen Gebotes zur medizinischen Verordnung nicht lösen kann. Ganz wichtig ist daher die Kenntnis und Vermittlung der Ausnahmeregelungen bezüglich Krankheit und medizinischer Behandlung, die sowohl im Koran wie in Hadithen niedergelegt sind:

• Der Frau ist während ihrer Regelblutung das Fasten untersagt, sie kann aber die entsprechende Zahl von Tagen fastend nachholen.
• Ein Kranker, eine schwangere oder stillende Frau oder ein sehr alter Mensch ist vom Fasten befreit, wenn er oder sie dafür eine bestimmte Spende für bedürftige Personen gibt.
• Das Fasten darf unter besonderen Belastungen wie Reisen, Krankheit, Krieg gebrochen werden, wenn nach Ende der widrigen Umstände eine gleiche Zahl von Tagen gefastet wird, denn „Allah will es euch leicht machen, nicht schwer" ( Sure 2/185).

Auch wenn der Muslim im Krankenhaus in Kenntnis der erwähnten Ausnahmeregelungen nicht fastet, kann es sein, daß abendlicher Besuch festliche Speisen mitbringt. Nun wird vor dem Personal manchmal die Bitte geäußert, Essen wärmen zu dürfen.
Auch die Kenntnis der wichtigsten Feste des Islam wird sicher eine Hilfe sein, um Handlungsweisen und Gefühle muslimischer Patienten besser nachvollziehen zu können:
Zunächst ist hier das Fest des Fastenbrechens am Ende des Fastenmonats Ramadan zu nennen, Id ul Fitr (arabisch) oder Ramadan Bayram (türkisch). Es hat den Charakter eines Dankfestes, dauert drei Tage und wird mit der Familie und der Moscheegemeinschaft gefeiert. Der erste Festtag beginnt mit einem gemeinschaftlichen Gebet am Morgen. Viele Kinder erhalten an diesem Tag Geschenke.
Das zweite wichtige Fest des Islam ist das Opferfest, Id ul Adha (arabisch) oder Kurban Bayram (türkisch). Es erinnert an die gottesfürchtige Haltung des Propheten Abraham und ist ritueller Teil der Pilgerhandlungen in Mekka (heilige Stadt des Propheten Abraham, der sie nach dem Glauben der Muslime gründete, indem er dort ein Gotteshaus, die Kaaba, baute) zur Zeit des Hadsch (das ist die islamische Pilgerfahrt im 8. Monat, Dhul Hidja, des islamischen Mondkalenders). Viele Muslime schlachten in diesen Tagen zur Erinnerung an Abraham und an seinen Sohn Ismael. Auch dieses Fest beginnt am Morgen des ersten Festtages mit einem gemeinschaftlichen Gebet, dem sich oft ein Essen im Kreise der Moscheegemeinde und der Verwandten anschließt.

SCHAM UND WÜRDE KRANKER MENSCHEN UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE MUSLIMISCHEN PATIENTEN

Für Ärztinnen und Ärzte zählen Schamreaktionen von Patienten zum beruflichen Alltag. Diese sind jedoch bei muslimischen Patienten, insbesondere jüngeren Frauen, besonders stark ausgeprägt.
Bevor im einzelnen die Problemfelder erörtert werden, zunächst einige allgemeine Ausführungen:

Der Kranke tritt als ein Jemand und nicht als ein Etwas seinem Arzt gegenüber, als eine bestimmte Person, als "Träger der allgemeinen Menschenwürde" (Viktor von Weizsäcker). Nach Artikel 1 des Grundgesetzes ist - wie wir alle wissen - "die Würde des Menschen unantastbar". Scham und Würde sind zwei Begriffe, die in einer sehr engen Beziehung zueinander stehen. Ärzte erfahren und erleben im Umgang mit Kranken in mannigfacher
Gestalt die wohl menschlichste und empfindlichste Gemütsbewegung, die Scham in ihren verschiedenen Ausdrucksformen. Sie befinden sich auch häufig in Situationen, in denen die Würde eines Kranken bereits angetastet und verletzt ist.

Schamreaktionen können vielfältig ausgelöst werden: durch Bloßstellung bis zur Verächtlichmachung. Auf diese Anlässe sind Schamantworten variantenreich: Erröten, Schweigen, Verstummen, Abwenden des Gesichts, stummes Fortgehen, in der Haltung zusammensinken, "vor Scham (in den Boden) versinken", "Vergehen vor Scham", Verlegenheit, Verschämtheit als Habitus, Kränkung, Angst, Schüchternheit, Demutsgebärde, narzißtische Kränkung, Minderwertigkeitsgefühle. Scham kann auch ein allgemeines "Minderwertigkeitserlebnis" sein.





Zwischen Mensch- und Gottbeziehung im Islam

Gottes Beziehung zu seinen Geschöpfen ist nach islamischem Verständnis vor allem von zwei Haupteigenschaften bestimmt:
der Barmherzigkeit, zu der er sich als der Allmächtige Gott nach dem Koran selbst verpflichtet hat, und der Gerechtigkeit.
Gott ist nicht Körper noch Geist, weder räumlich noch zeitlich, weder sichtbar noch in Abbildungen erfaßbar. Jedoch ist er überall präsent.
Nach dem Koran ist er "dem Menschen näher als seine eigene Halsschlagader" (Sure 50/16).

Sure 23 (Al- Mu'minun/ Die Gläubigen), Vers 12-16:
Und wahrlich, Wir erschufen den Menschen aus einer Substanz aus Lehm. Als dann setzten Wir ihn als Samentropfen an eine sichere Ruhestätte. Dann bildeten Wir den Tropfen zu einem Blutklumpen (Embryo); dann bildeten Wir den Blutklumpen (Embryo); zu einem Fleischklumpen; dann bildeten Wir aus den Fleischklumpen Knochen; dann bekleideten Wir die Knochen mit Fleisch; dann entwickelten Wir es zu einer anderen Schöpfung. So sei dann Allah gepriesen, der beste Schöpfer. Dann werdet ihr gewiss sterben. Dann werdet ihr am Tage der Auferstehung erweckt werden.
Erklärung: In diesen Versen wird uns Allahs schöpferisches Wirken in Bezug auf den Menschen vor Augen geführt und dadurch die wahre Position des Menschen in seinem Leben aufgezeigt. Der Ausdruck „aus Lehm erschaffen“ soll darauf hinweisen, dass unser Körper aus verschiedenen anorganischen Substanzen besteht, wie sie in der Erde vorkommen. Damit wird der bescheidene Ursprung des Menschen betont und dieser zur Dankbarkeit seinem Schöpfer gegenüber angeregt, Der ihn mit einer bewussten Seele ausgestattet hat. In diesen Versen wird die Vergangenheitsform benutzt, um zu zeigen, dass all dies ein von Allah bestimmter Prozess ist, der sich immer wiederholt hat, seit der Mensch existiert.
Im letzten Vers heißt es, dass man am jüngsten Tag auferstehen wird. Unser physischer Tod scheint unser Leben abzubrechen. Wäre er jedoch das Ende, dann wäre unser Leben sinnlos. Unser eigener Instinkt sagt uns, dass dies nicht der Fall sein kann und Allah sichert uns zu, dass es eine Auferstehung und ein Gericht geben wird.

Sure 49 (Al-Hugurat/ Die Gemächer), Vers 13:
O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen mögt. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.
Erklärung: Menschen der verschiedensten Rassen und Farben, Völker und Stämme haben alle eine einzige gemeinsame Urabstammung. Deshalb darf man sich nicht in Rassenkämpfe und Feindseligkeiten verstricken. Man soll sich nicht der Abstammung rühmen, sich streiten und sich dann in unsinnige Kämpfe verwickeln. Für Allah sind die edelsten die Gottesfürchtigen, die einander ergänzen und zum Wohle der Erde und ihrer Bewohner zusammenarbeiten. Alle gehören derselben Menschheitsfamilie an, ohne irgendwelche Überlegenheit der einen über die anderen. So ermahnt uns Allah, die Würde der anderen zu schützen und zu respektieren. Die Entwicklung der Menschheit zu Stämmen und Völkern sollte eher den Wunsch fördern, einander zu verstehen und die Wesenheit der Menschheit zu begreifen, die dieser Vielfalt zugrunde liegt. Infolgedessen werden alle nationalen oder rassistischen Vorurteile verurteilt.

Sure 99 (Az-Zalzala/ Das Beben), Vers 6-8:
An jenem Tage kommen die Menschen in Gruppen zerstreut hervor, damit ihnen ihre Werke gezeigt werden. Wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Gutes tut, der wird es dann sehen. Und wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Böses tut, der wird es dann sehen.
Erklärung: In dieser Welt sind Gut und Schlecht miteinander vermengt. Dann jedoch werden sie voneinander getrennt und nach Grad der Güte und der Schlechtigkeit einander zugeordnet werden. Daraufhin werden die einzelnen Gruppen antreten, um vor Gericht gestellt zu werden. Und es wird ihnen gezeigt werden, welche Bedeutung alles tatsächlich hatte, was sie gedacht, getan oder gesagt haben, auch wenn sie es noch so sorgfältig geheim zu halten trachteten oder in einem anderen Licht darzustellen versuchten. Alles wird in der Abrechnung in Betracht gezogen werden, während die Betroffenen selbst von deren Richtigkeit überzeugt sein werden.

Quellen:
Die ungefähre Bedeutung des Al-Qur'an Al-Karim in deutscher Sprache Abu-r-Rida, Muhammad Ibn Agmad Ibn Rassoul, Arcelmedia, Die Bedeutung des Korans Band 3 und 5, SKD Bavaria Verlag & Handel GmbH, 2. neu bearb. Und verbesserte Auflage 1998